Mehr Mut: wahre Gesichter und mehr politisches Engagement

Mehr Mut: wahre Gesichter und mehr politisches Engagement

In unserer Veranstaltungs-Reihe LeMiMo (Letzter Mittwoch im Monat) präsentieren und diskutieren wir (mit) Ihnen aktuelle Themen der Ernährungswirtschaft, informieren über aktuelle EU-Politik, Lobby-Arbeit und verbandsinterne Angelegenheiten. Der LeMiMo im November mit dem Journalisten Jens Brehl hat uns spannende Einblicke aus Mediensicht in die Entwicklung unserer Branche gegeben und für viel Diskussionsstoff gesorgt.

Für weniger Öko-Romantik und mehr Realität plädierte der freie Journalist Jens Brehl . Wenn Bio zu oft „verniedlicht“ wird, entstehen nicht nur falsche Vorstellungen bei den Konsument*innen, sondern auch der Irrglaube, man könne mit Bio nicht die Welt ernähren, verfestige sich im schlimmsten Fall weiter.

Auf der Packung eine glückliche Bäuerin mit drei noch glücklicheren Hühnern, ein Bäcker rührt liebevoll in der Teigschüssel – dabei sind die Lebensmittel in hochmodernen ökologischen Betrieben entstanden. Die Fallhöhe, wenn Konsument*innen mit solchen Bildern im Kopf hinter die Kulissen der Ernährungswirtschaft schauen können, ist mitunter hoch. Auch beim Öko-Landwirt sind mehr als zehn Hühner in einem Stall, die Backstraßen für Bio-Kekse könnten auch bei einem konventionellen Unternehmen im Einsatz sein. In weiten Teilen ist die Bio-Branche längst erwachsen geworden und viele Produzenten bauen weiter aus und rüsten sich für die weiterhin steigende Nachfrage. „Ebenso wie in der Natur, brauchen wir auch in der Produktion die Vielfalt: von kleinbäuerlichen Betrieben über den Mittelstand bis zum Großbetrieb“, meinte Brehl. Zeigen was ist, laute die Devise.

Für sein aktuelles Buch „Für unsere Zukunft – Wie Bio-Pioniere die Welt verändern”, hat Brehl bundesweit 16 herausragende Wegbegleiter der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft porträtiert – und dabei nicht „nur“ über die spannenden Pionierzeiten, sondern auch aktuelle Herausforderungen der Branche thematisiert und gefragt, warum die ökologische Agrarwende angesichts drängender Umweltprobleme dennoch nur schleppend vorankommt. Der Journalist nutzte bei seinen Vorort-Recherchen jede Gelegenheit, um sich die Produktionen anzuschauen und deren Besonderheiten zu erklären.

In Diskussionen mit Leser*innen hören Pressevertreter  immer wieder, dass Bio-Betriebe riesig erscheinen – ob das noch Bio sein könne? Dabei sind sie, gerade mit Blick auf Produzenten in der konventionellen Lebensmittelwirtschaft, mitunter allenfalls überschaubare Mittelständler. Teilweise existieren völlig schiefe Bilder, die auch durch die Öko-Romantik in Logos und in der Werbung verstärkt werden.

Politisches Engagement wagen

In einem Fazit in Brehls Buch geht Joseph Wilhelm, Mitgründer Rapunzel Naturkost, mit der Branche hart ins Gericht: „Im Handel ist nach wie vor fast alles beim Alten, hier sind alternative Verhaltensweisen weniger ausgeprägt als beispielsweise in der ökologischen Landwirtschaft. Der Handel kämpft zu sehr auf der Preisschiene. Für Bio ist das falsch, was ich unseren Kunden wie Alnatura und Dennree auch offen sage. Ursprünglich sind wir angetreten, um die Welt zu verändern. Stattdessen sind wir von einer politischen Bewegung zu einer Branche verkommen. Großhändler und Hersteller haben Profil verloren, wir sind zu glatt geworden und haben es uns im bestehenden System zu bequem gemacht.“

Keine Frage, die Agrarpolitik wird in Brüssel gemacht, doch das befreie laut Brehl nicht vom Engagement in der Lokalpolitik. Als Beispiel nannte er seine Heimatstadt Fulda, die seit 2017 offizielle „Klima-Kommune“ ist. Die ökologische Landwirtschaft in Kombination mit regionalen Wirtschaftskreisläufen bietet bei der Bewältigung der Klimakrise viele Antworten. „Es wäre durchaus spannend, wenn Landwirte und Hersteller sich aktiver in die lokale Klimapolitik einbringen würden. Die grundsätzliche Frage, wie man die Menschen in der Region ökologisch nachhaltig ernähren kann oder woher derzeit überhaupt unsere Lebensmittel stammen, hat noch keiner gestellt. Ein Ernährungsrat würde bald herausfinden, dass es vor allem weitere Verarbeitungsbetriebe braucht.“

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