„Green Deal oder Green Washing?“
Vor etwa einem Jahr hat Frau von der Leyen den „Europäischen grünen Deal“ verkündet, der die „Umgestaltung der europäischen Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft“ voranbringen soll. Das vorrangige Ziel? „Im Jahr 2050 keine Netto Treibhausgasemmission mehr freisetzen und das Wirtschafstwachstum von der Ressourcennutzung abkoppeln“ – beeindruckend. Um das zu erreichen, hat die Kommission eine erstaunlich klare Problemanalyse geliefert. Und gleich vorab: Was im Europäischen Grünen Deal geschrieben ist, ist kein Green Washing. Es ist ambitioniert. Ob es aber Wirklichkeit wird, das hängt von den politischen Prozessen ab.
Fair, gesund und umweltfreundlich: „Vom Hof auf den Tisch“
Von den 8 Themenfeldern, die im „Grünen Deal“ angesprochen werden, berührt die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ den Kern unserer Arbeit: die Ernährungswirtschaft. Und auch diese Strategie ist ambitioniert und besticht mit einer klaren Problemanalyse. Man beachte z.B. Aussagen, wie „rund 20 % aller erzeugten Lebensmittel werden weggeworfen“, oder „Schätzungen zufolge waren im Jahr 2017 in der EU über 950 000 Todesfälle (jeder fünfte) und über 16 Mio. verlorene gesunde Lebensjahre auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen“. Und auch schon der Titel stellt klar, um was es bei der Strategie geht: Um ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem. Die Kommission macht aber deutlich, dass dieser Übergang zu einem nachhaltigen Ernährungssystem „nicht ohne eine Änderung des Ernährungsverhaltens vollzogen werden kann“.
Exkurs: Warum sind Ernährungsstil und -verhalten so zentral? Weil sie nicht nur in Bezug auf die gesundheitlichen Themen, die gesellschaftlichen Kosten und das individuelle Leid, sondern auch für den Umbau der Landwirtschaft essentiell sind. Denn ein ökologischer Umbau der Landwirtschaft kann nur bei gleichzeitigem Umbau der Ernährungsstile erfolgreich sein. Klar ist: Eine Umstellung der EU-Landwirtschaft auf ökologische Methoden und tiergerechte Produktion wird mit geringeren Erträgen einhergehen. Sie werden aber völlig ausreichen, um die EU-Bürger zu ernähren – wenn die Ernährungsgewohnheiten modernisiert werden. Das heißt: Mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel. Dann ist genug für alle da, die Ernährung ist gesünder und umweltfreundlicher. Andernfalls wird das Projekt „Transformation hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem in Europa“ scheitern.
Die Kommission stellt auch klar, dass das Ernährungssystem sein Nachhaltigkeitsproblem nur teilweiße aufgrund der Landwirtschaft hat und demzufolge ein integrieter Ansatz für die gesamte Lebensmittelkette notwendig ist. Das ist bedeutend, da die Lösung für die Nachhaltigkeitsprobleme all zu oft nur auf der landwirtschaftlichen Ebene gesucht werden. Erstaunlicherweise legt die Kommission dann dennoch bei den konkreten Maßnahmen einen starken Fokus auf landwirtschaftliche Themen.
Postlandwirtschaft – der Mut fehlt
Doch nun zur Perspektive des Handels und der Verarbeitung von Lebensmitteln. Hier zeigen sich die Schwächen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“. Das Nicht-Mitdenken der Bereiche, die der Landwirtschaft nachgelagert sind, wird schon im Vorschag für Öko-Anbau und -Lebensmittel deutlich: Ziel ist es, „bis zum Jahr 2030 mindestens 25% der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch zu bewirtschaften“. War da etwa die Idee im Raum, diese Ausdehnung der Öko-Fläche unabhängig vom Markt mit den planwirtschaftlichen Instrumenten der GAP zu organisieren? Nach den Entscheidungen des EU-Parlaments und des Rates zur nächsten GAP-Periode vor wenigen Wochen können wir das zumindest mit „nein“ beantworten.
Im Gegensatz zu den Vorschlägen für die Landwirtschaft wirken die Maßnahmen für Lebensmittelverarbeitung und -handel insgesamt mutlos. Und das, trotz deren zentraler Funktion im Ernährungssystem und dem direkten Einfluss auf Ernährungsmuster. Dabei brauchen wir doch genau an dieser Stelle dringend Veränderungen.
Die Frage der Ernährungskultur und des Ernährungsstils als entscheidende Faktoren für den Umbau des Ernährungssystems wird neben anderen Themen zwar deutlich angesprochen, aber mit wenigen konkreten Maßnahmen unterlegt. Die Vorschläge beschränken sich z.B. auf Kennzeichnungsregeln und greifen einige alte Themen auf, wie „Reduktionsstrategien für Fett, Zucker, Salz“ oder die schon seit 15 Jahren diskutierten „Nährwertprofile“.
Die heißen Eisen
Die wirklich heißen Eisen bleiben jedoch unberührt. Insbesondere das Kernthema „moderne nachhaltige Ernährungsstile“ und die dazugehörigen Ernährungsumgebungen. Dabei liegen doch gerade in den Händen der Verarbeiter und Händler eine ganze Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten zu Ernährungsumgebungen. Und damit Möglichkeiten, ein enkeltaugliches Ernährungssystem zu forcieren.
Natürlich hat zeitgleich auch der Staat eine Reihe von Aufgaben, die Voraussetzungen für unsere betriebswirtschaftlichen Realitäten sind. Wir müssen uns für den Erfolg aber trauen, gemeinsam über sie zu sprechen:
Das alles sind Baustellen, die über den Erfolg eines Umbaus der Ernährungsumgebung entscheiden, weil sie Einfluss auf das Konsumverhalten haben. Und es sind Baustellen, bei denen die Wirtschaftsakteure und Verarbeiter direkt handlungsfähig sind. Es sind Baustellen, die wir angehen sollte, damit vom „Green Deal“ mehr als nur „Green Washing“ übrigbleibt. Denn das wäre ein Desaster für uns und nachfolgende Generationen.
Ihr Alexander Beck